Klare Kante: Die neue ATV- Formensprache?
Klare Kante ist angesagt bei den ATVs der Zukunft, zumindest wenn es nach den Designern aus Fernost geht. Der ästhetische Bruch mit dem Hier und Heute ist ziemlich radikal. Von Ferne grüßt der Tesla Cybertruck. Doch nicht alle sind begeistert. 4 Räder, 1 Riemen präsentiert drei Vorreiter eines neuen "Clean Design".
CFMOTO Vision Gen 4 - Die Puristische
Vision Gen 4 nennt CFMOTO seinen Ausblick auf die Zukunft der CForce-Baureihe. Und die Marketingleute gehen in die Vollen. Von skulpturierter Schönheit ist die Rede und von futuristischen Formen. CFMOTO beruft sich auch auf ein großes architektonisches Vorbild. Die brutalistische Architektur der 1950er bis 1970er Jahre habe Pate gestanden bei der Schöpfung der Vision Gen 4. Brutalistisch hat hier nichts mit brutal zu tun, sondern bezieht sich auf den rohen (franz. brut), also unverputzten Beton, mit dem damals so ziemlich jedes Rathaus, jede Schule und jede Stadthalle in der alten Bundesrepublik bebaut wurde. Rechte Winkel und die Betonung der Funktionalität durch einfache geometrische Formen kennzeichnen den Stil des Brutalismus. Und tatsächlich findet sich auch an der Vision Gen 4 nirgends auch nur der Hauch einer Rundung.
Statt dessen dominieren Dreiecke und Rechtecke mit klar akzentuierten Kanten bis ins kleinste Detail das Design der Verkleidung. Auch die Gestaltung der Sitzbank ordnet sich diesem Prinzip unter, ebenso die Form der transparenten Handschützer. Selbst der Haken der Winde ist eckig. Insgesamt bekommt die Vision Gen4 durch das klar durchgezogene geometrische Prinzip eine erstaunliche Kompaktheit - eine Art Würfel auf Rädern, quadratisch, praktisch, gut. Nur das Marken-Logo hat die Radikalkur überlebt. Es ist auch an der Vision Gen 4 weiterhin kreisrund, dafür aber beleuchtet.
„Licht ist das neue Chrom", schrieb Auto, Motor und Sport schon vor ein paar Jahren, als jedes bessere Elektro-Auto mit fulminanten Lichtleisten auf den Markt rollte. Die LED-Technik machte es möglich. Je dicker die Leisten, um so moderner das Fahrzeug, so die Idee. Jetzt hat dieser Trend auch die ATVs erreicht. Bei der Vision Gen 4 sind die Leisten noch verhältnismäßig dezent und fügen sich besonders im Heck harmonisch in die Verkleidung ein. Vorne muss man schon ein wenig schlucken angesichts der Lichtorgel, die einem entgegenstrahlt. Zu neu, zu ungewohnt ist diese Ansicht bei einem Offroadfahrzeug. Und der Metallic-Effekt der Verkleidung stärkt diesen Eindruck noch.
Doch keine Sorge: Die Vision Gen 4 ist ein Konzeptfahrzeug, das die Richtung weist, so aber nie in Serie gehen wird. Die nächste CForce 625 soll erstmals Züge des neuen Designkonzepts tragen.
GOES G-Core T 24 - Die Harmonische
Auch GOES bringt ein Konzeptfahrzeug an den Start, die GOES G-Core T 24. Und weil GOES seit Anfang 2024 eine hundertprozentige Tochter von CFMOTO ist, fällt auch beim Design der Apfel nicht allzu weit vom Stamm, sprich: Die die G Core wirkt auf den ersten Blick wie der Vision Gen 4 aus dem Gesicht geschnitten. Auch hier finden sich rechte Winkel, scharfe Kanten und große Flächen. Selbst der Knauf des Schalthebels und die Abschleppösen sind viereckig. Doch auch vor der einen oder anderen sanften Rundung sind die GOES-Leute nicht zurückgeschreckt und so wirkt ihr Fahrzeug mit seinem Titan-Finish besonders in der Seitenansicht insgesamt weniger puristisch-streng als die Vision Gen 4.
Richtig gut hinbekommen haben die GOES-Designer die Front. Natürlich gibt es auch hier die beliebten LED-Lichtspiele, doch als Umrahmung der kantigen schmalen Scheinwerfer wirken die LEDs eher funktional als dekorativ. Und dass auch hier das Firmen-Logo in hellem Licht erstrahlt ist geschenkt. Soviel Markenstolz darf sein. Die Blinker sind übrigens in die Handschützer gewandert. Ein interessanter Kniff verhindert eine ästhetische Dreiteilung der Frontmaske. Ein schmaler orangener Rahmen verbindet die beiden Titanflächen über und unter dem schwarzen Lufteinlass für den Kühler und hält so das Ganze zusammen. Die orangenen Akzente sind stilbildend. Sie finden sich überall am Fahrzeug, vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch zuviel. Das Heck nimmt das Lichtdesign der Front wieder auf. Das Markenlogo leuchtet jetzt in rot. Und die Auspuffblenden direkt darunter sind natürlich eckig, aber definitiv sehenswert.
Auch die GOES G-Core T 24 wird so nicht in Serie gehen, wohl aber die Serienfahrzeuge inspirieren. Wie, dass verdeutlicht ein Blick auf den Prototyp der neuen GOES Terrox 500, die Anfang 2026 auf den europäischen Markt kommen soll. Die Linienführung der Kotflügel ähnelt sich doch stark. Noch prägnanter: Das Design der Leuchteinheiten vorn und hinten findet sich fast 1:1 an der Terrox wieder, natürlich aus Kostengründen mit mehr Kunststoff und weniger LED. Die Terrox ist schließlich ein Einsteigermodell.
NIUNV - Die Elegante
Die chinesische Firma NIU, nicht zu verwechseln mit dem Autobauer NIO, ist gerade einmal zehn Jahre alt und produziert in der Hauptsache E-Scooter. Jetzt will NIU auch in den Powersports-Bereich einsteigen. Auf der EICMA 2024 präsentierten die Chinesen neben einem Elektro-Quad auch ihr erstes Konzept-ATV.
Es heißt schlicht NIUNV und soll in drei Antriebsvarianten auf den Markt kommen, rein elektrisch, als Plug-In-Hybrid oder als Verbrenner. Das Chassis bleibt dabei immer gleich und die Verkleidung ebenso. Und bei der haben sich die Designer wirklich Mühe gegeben. Die Zutaten sind im Prinzip dieselben wie bei CFMOTO und GOES: Klare Kanten, große glatte Flächen, imposante Lichtleisten in der Frontmaske und im Heck. Doch im Ergebnis wirkt die NIUNV in ihrem Edelstahlfinish derart elegant, dass man gar nicht ins Gelände fahren möchte, aus Angst das Ding könnte schmutzig werden. Dabei wäre das kein Problem. Die Verkleidung, darauf weist NIU ausdrücklich hin, besteht nicht wie in der Branche üblich, aus Kunststoff, sondern aus 1,2 mm starkem mehrlagig beschichtetem Blech. Da haben Kratzer wenig Chancen. Lediglich die Gepäckbrücken vorn und hinten wirken etwas uninspiriert draufgesetzt. Hier ein bisschen mehr Liebe zum Detail und die NIUNV wäre "next to perfect". Angeblich soll sie schon 2025 auf den Markt kommen. Wir werden sehen.
4 Räder, 1 Riemen meint: "Zeitloses Design verzichtet auf überflüssigen Schnickschnack." Dieses Zitat des großen Automobildesigners Giorgetto Giugiaro hätte Pate stehen können für die Entwürfe von CFMOTO, GOES und NIU. Vielen ist das auf den ersten Blick zu radikal und so geht ihr Daumen erst einmal nach unten. Andererseits braucht es Provokation, um sich vom Altbekannten deutlich zu distanzieren. Deswegen wagen Designer manchmal einen großen Sprung. Die normative Kraft der Serienproduktion mit all ihren Zwängen bügelt sowieso vieles flach. Sicherlich kommen wird eine neue "cleane" Linienführung. Aber ob die von allen Herstellern adaptiert wird, ist auch noch fraglich und vielleicht nicht einmal wünschenswert. Denn die drei hier präsentierten Vertreter dieses neuen "Clean Design" sehen sich bei ungenauem Hinsehen doch zum Verwechseln ähnlich. Und die Frage wird sein: Was macht den Unterschied?
Und zum Schluss noch ein kurzes Video: Die GOES G-Core T24 - von der Skizze zum Konzept-ATV:
📷 Alle Fotos von den jeweilgen Herstellern
🎥 CFMOTO