Wolf im Schafpelz?

28.08.2025

Dass der Loncin XWolf 1000 im Gelände nicht gerade zu den Zahmen im Lande zählt, ist allgemein bekannt. Aber kann er auch Schafpelz, ganz normal im Alltag oder auf Tour? Wir haben es ausprobiert bei einer Runde um die Havelseen südwestlich von Potsdam.

Los geht es ganz standesgemäß am Schloss in Caputh, einem der ehemaligen Lustschlösser des Großen Kurfürsten. Für die Fotos ist Stephan dabei auf seiner MZ 150 Trophy von 1973. Der alte Zweitakt-Hobel bringt es auf 12 PS, der XWolf dagegen auf stramme 98. Damit ist er das zweitstärkste derzeit erhältliche ATV. Ein sanfter rechter Daumen ist durchaus von Vorteil. Drückt man beim Anfahren aus Versehen ein bisschen zu kräftig aufs Gas, schießt der XWolf förmlich aus den Startlöchern. Ansonsten gibt sich der durchaus wuchtige Klotz ausgesprochen zivil und fährt sich beinahe spielerisch.

Die wenigen Kilometer entlang des Schwielowsees zum Künstlerdorf Ferch reichen, um sich auf der Maschine zu Hause zu fühlen. Auf der linken Lenkerseite sind die Bedienelemente "Onroad" - Licht, Blinker, Hupe, Starterknopf. Rechts ist der Schalter für die Fahrmodi und alles für "Offroad". Aber Untersetzung und die Sperre vorn werden heute nicht gebraucht. Auch das automatisch sperrende Differenzial im Heck hat heute Ruhetag und darf offen bleiben. Auf der Straße ist das eine Genuß. Der XWolf lässt sich so ohne großen Körpereinsatz durch die Kurven zirkeln und selbst Kreisverkehre verliere ihre Schrecken. Der XWolf rollt einfach durch ohne das brutale Untersteuern, das man von hinten zwangsgesperrten Modellen kennt. Der Motor ist ein Gedicht. Er hat Kraft in allen Lebenslagen und setzt jeden Gasbefehl augenblicklich in Vortrieb um. Kurvenreiche Landstraßen machen mit dem XWolf so richtig Spaß.

Auf der Straße ist man mit dem Fahrmodus "Normal" bestens bedient. Der Kraftaufwand ist minimal, die Rückmeldung von der Straße ist optimal. Eine angenehme Sitzposition ist auch für groß gewachsene Fahrer schnell gefunden. Die Sitzbank ist riesig, vor allem aber ist sie angenehm straff gepolstert und der kleine Höcker hin zum Sozius-Abteil stabilisiert sehr angenehm die Lendenwirbelsäule. Auf langer Strecke ist das eine Wohltat, genauso wie der dezente Sound. Der XWolf gehört wie alle nach T3b-ABS homologierten Fahrzeuge eher zu den Leisetretern. Zwar klingt der V2 durchaus nach ordentlich Power, aber eben in einem Rahmen, der einen vor den vorwurfsvollen Blicken der Touristen auf der romantischen Altstadtinsel von Werder verschont.

Hier ist auch der erste Stopp und Gelegenheit, einen genaueren Blick auf den XWolf zu werfen. Um es kurz zu machen: Bumper vorne und hinten, Winde mit Endabschaltung, LED-Beleuchtung rundum, einstellbares Fahrwerk - alles drin, alles dran. Und alles an dem Fahrzeug wirkt hochwertig und sauber verarbeitet. Selbst auf dem üblen Kopfsteinpflaster der Altstadtgassen knarzt, rappelt oder quietscht absolut nichts. Die Lenkereinheit ist komplett verkleidet und wirkt wie aus einem Guss. Das sieht nicht nur gut aus. Das hat auch einen praktischen Grund, wie sich noch zeigen wird. Das TFT-Farbdisplay ist riesig und liefert blendfrei seine Informationen. Vorne hat der XWolf die üblichen Steckdosen, um zum Beispiel das Handy zu laden. Aber ablegen kann man es nur in einem der beiden Cupholder vor dem linken Fahrerknie. Viel mehr Stauraum hat die Maschine nicht zu bieten. Hinten ein kleines Fach und noch ein etwa bonbonglasgroßes mit Schraubverschluss unter der Sitzbank, das war's. In beiden Fächern herrscht übrigens annähernd Motortemperatur. Wer also nicht dauernd mit einem Rucksack rumkurven oder jedes bisschen Ladung auf den Gepäckbrücken verzurren will, kommt um einen Koffer nicht herum.

Der Bremstest kommt früher als geplant und absolut unfreiwillig. Der verträumte Fahrer übersieht beinahe ein Rechts vor Links und muss voll in die Eisen. Den XWolf bringt das nicht aus der Ruhe. Der hält die Spur. Dank ABS blockiert nichts, rutscht nichts. Die Fuhre kommt rechtzeitig zum Stehen. Test bestanden - vielen Dank! Der Bremshebel am Lenker wirkt übrigens nur auf die Vorderräder, das Fußpedal dagegen auf alle vier. Die beste Bremswirkung ergibt sich, wenn man beide Bremsen zusammen betätigt. Auf den ruppigen zusammengeflickten Brandenburger Landstraßen meldet der XWolf von allein, wenn es ihm zu schnell wird. Er liegt dann unruhig und versetzt leicht bei heftigeren Stößen. Vielleicht würde hier ein bisschen weniger Luftdruck helfen oder ein paar Klicks in Richtung "weich" beim einstellbaren Fahrwerk, ein wenig Gas wegnehmen hilft auf jeden Fall. Der XWolf beruhigt sich augenblicklich. Spurrillen sind ihm übrigens herzlich egal.

Was das Fahrwerk wirklich kann, zeigt sich, als endlich ein legal befahrbarer Feldweg kommt. Der ist vom vielen Regen ziemlich verschlammt und somit absolut kein Geläuf für die alte MZ. Also kommt Stephan hinten auf den Soziussitz des XWolf. Das klappt prima. Fahrer und Beifahrer haben massig Platz und kommen sich nicht ins Gehege. Den XWolf interessiert das Mehrgewicht überhaupt nicht. Er pflügt mit Macht durch die Pfützen und das Fahrwerk bügelt alle Unebenheiten des Feldwegs ganz einfach platt. Stephan kann noch bei Tempo 60 beide Hände von den Haltegriffen nehmen und wackelfreie Fotos machen. Der XWolf zeigt sich auch als echter Saubermann. Die Verkleidung hält allen hochspritzenden Dreck von den Passagieren fern.

Über die Havel hinüber nach Ketzin gelangt man nur mit "Charlotte". So heißt die Fähre, die hier schon über 30 Jahre Dienst tut. Für die alte MZ kostet der Katzensprung übers Wasser 2,50 €, der XWolf muss das Doppelte berappen. Zwei Räder mehr haben eben ihren Preis.

Für den Beschleunigungs- und Top Speed-Test war eigentlich ein kurzes Stück Autobahn vorgesehen. Aber auf der A10 ist mal wieder Stau. Daher muss die B 273 Richtung Potsdam als Ersatz dienen. Also raus aus dem Kreisverkehr und das Daumengas voll durchgedrückt. Der XWolf marschiert los, als gäbe es keinen Morgen. Die alte MZ wird im Rückspiegel rasch kleiner. 111 km/h zeigt das Display, als ein friedlich dahingondelnder Opel Corsa den Vorwärtsdrang bremst. Bei echten 110 km/h regelt der XWolf übrigens ab. Genauso mühelos wie das Fahrzeug erlebt der Fahrer die hohe Geschwindigkeit; kein Festklammern am Lenker im Kampf gegen den Fahrtwind. Die Lenkerverkleidung wirkt anscheinend wie ein Windschild und leitet die Luft um den Piloten herum. Das ist wirklich clever.

In Potsdam dagegen ist Stop and Go angesagt. Aber ein bisschen Sightseeing muss sein. Dem XWolf ist Stadtverkehr egal. Seine CVT arbeitet sanft und völlig ruckfrei, egal wie oft man anfahren und wieder abbremsen muss. Es geht vorbei am Krongut Bornstedt, am Neuen Palais und allmählich wird es dem Fahrer unterhalb der Gürtellinie immer wärmer. Der Motor strahlt doch einiges an Hitze durch die Verkleidung ab und wenn der kühlende Fahrtwind fehlt, macht die sich an den Oberschenkeln deutlich bemerkbar. Da kommt ein letzter Fotostopp vor Schloss Sanssouci genau richtig. Und zum krönenden Abschluss der Tour starten wir hier für die Umstehenden die Mega-XWolf-Lightshow: Einfach das Licht einschalten und schon fackelt der XWolf hinten eine wahre Lichtorgie in rot ab und blinkt und leuchtet mit allem, was die LEDs hergeben. Das macht echt Eindruck. Und bei soviel Rot ist eines sicher: Der Weihnachtsmann würde XWolf fahren.

4 Räder, 1 Riemen meint: Ganz klar, der Loncin XWolf 1000 L ABS kann auch Schafpelz und das ziemlich gut. Er präsentiert sich als ausgesprochen komfortable Tourenmaschine mit jeder Menge Platz auch für zwei Passagiere. Die über jeden Zweifel erhabene Motorleistung sorgt dazu noch für eine anständige Extraportion Spaß. Mit knapp 13.000 € ist der XWolf auf den ersten Blick nicht unbedingt das Schnäppchen in der 1000er Klasse. Aber angesichts seiner Ausstattung, der hochwertigen Verarbeitung, vor allem aber wegen seines Sahne-Motors riskiert man gerne einen zweiten Blick.


📷 Stephan Ritter

▶️ www.loncinquads.de

ℹ️ https://www.4r1r.de/l/grose-marktubersicht-die-1000er-atvs